Mittwoch, 15. Mai 2013

...

'Ach Scheiße, warum ich? Warum bin gerade ICH in so eine Situation gelangt?'
Schnell zieh ich meinen Kopf ein als ein faustgroßer Stein knapp über mich hinwegfliegt und hinter mir jemanden kurz aufschreien lässt. Als ich mich umschaue, sehe ich, dass mittlerweile noch mehr meiner Schüler aufgetaucht sind. Die Wut steht ihnen ins Gesicht geschrieben, als sie die Steine von der proviesierten Straße auflesen und auf die anderen zurück schmeißen.
Als ein paar Mutige, oder auch Verrückte, sich mit Stöcken bewaffnen und die Distanz zwischen den beiden sich bewerfenden Gruppen überbrücken wollen, ist jede Linie überschritten. Schubsend versuche ich ein paar Schüler von dem Straßenkampf wegzudrängen. Die meisten von ihnen sind noch keine 18. Sie schreien, einige sind schon betrunken und denken gar nicht jetzt zu gehen.
Plötzlich taucht ein weiterer Schwung Schüler auf. Mittlerweile sind es richtig viele, 60 oder 70, mehr als doppelt so viel wie die anderen. Durch ihre Überzahl mutig geworden stürzen sie sich alle nach vorne. Dann ruft auf einmal jemand "Cuchillos! Tienen cuchillos!". Die angreifenden Schüler verlieren Schwung. Einige sind sichtlich verwirrt. Sekunden später ruft jemand aus den ersten Reihen "Cuchillos! Corre, corre!". Mittlerweile ist der Ansturm komplett zum erliegen gekommen. Die meisten stehen kurz auf der Straße rum. Dann schreit jemand von vorne mit hysterischer Stimme "Cooorrrrreeeee!!". Panik bricht aus, als die Schüler Hals über Kopf in die Richtung zurück laufen, aus der wir vorhin gekommen sind. Ein Zehntklässler fällt weiter vorne und wird von ein paar seiner Kameraden fast über den Haufen gerannt. Dann jedoch taucht ein Lehrer neben ihm auf, bringt ihn wieder auf die Füße und zerrt den Schüler dann in die Richtung, in die wir alle laufen. Er blutet aus einer kleinen Schramme im Gesicht und aus einer Schürfwunder an den Beinen.

Immer noch gehen Steine in die Menge der Fliehenden nieder. Ich fühle mich berauscht, als ich mit allen anderen zurück laufe. Die Biere, die ich erst vor kurzem mit dem Direktor der Schule getrunken habe tuen ihr übriges dazu. Als mich beinah ein Stein am Kopf trifft, drehe ich mich noch einmal um. Sie jagen uns. Schmeißen immer noch Steine auf uns. Einige haben das in ihren Händen, was uns alle zum laufen gebracht hat. Kampfmesser. Lange, stabil aussehende Messer, die gefährlich in der Sonne aufblitzen. Jetzt bekomme ich Angst. Das war viel zu schnell eskaliert und sie sahen wütend genug aus, um mit ihren Messern Dinge zu tun, die sie später bereuen könnten. Sprich, einen von uns ernsthaft verletzen.
Als wir fast am Treffpunkt sind, kann ich die anderen Lehrer brüllen hören, dass alle sofort in die Busse rein sollen. Hatten sich die meisten Schüler auf dem Hinweg noch darüber gestritten neben wem sie sitzen dürften, so quetscht sich jetzt alles in das nächstbeste Fahrzeug. Nachdem ich es endlich in einen geschafft habe, höre ich, wie ein paar Steine gegen das Blech des Fahrzeug donnern. Ein großer Stein fliegt voll gegen die Heckscheibe, lässt die Mädchen im Bus aufschreien und hinterlässt Risse im Glas. Einer der Busse, der hinter uns stand, rast mit einem Aufbrüllen des Motors an uns vorbei. "Vamonos de aqui" ruft Gordo, der Lehrer, der am nächsten der Tür steht. Die Reifen drehen beinah beim Anfahren durch, dann macht der Bus einen Satz nach vorne und wir folgen den anderen. Mittlerweile waren alle Schüler in einem der 5 Busse und nur noch unsere Verfolger auf der Straße. Als wir uns von ihnen entfernen sehen wir, wie aus einer Seitenstraße 3 bewaffnete Polizisten gerannt kommen. Die Männer lassen die Messer fallen, knien sich eilig hin und heben die Hände hoch. Dann schießt der Bus um eine Ecke und wir sind außer Sicht.
Als wir aus dem Dorf draussen sind, halten wir bei den anderen Bussen an. Alle Schüler strömen nach draussen und fangen an wild durcheinander zu rufen. El Gordo schafft sich mit seiner lauten Stimmung Aufmerksmkeit, er will wissen, ob noch jemand verletzt sei und wenn ja, dann sollen sie bitte zum ersten Bus gehen. Dort steht auch der Direktor und als ich ihn frage, ob irgendwer ernsthaft verletzt sei, schüttelt er den Kopf. Ich fühle Erleichterung in mir aufsteigen. Dann jedoch meint er, es könne möglich sein, immerhin vermissen wir immer noch einen Bus. Dann wird auch mir klar, dass der 5te Bus nie aus dem Dorf raus gekommen ist. Am liebsten hätte ich aufgestöhnt, denn für den Bus wäre ich mit verantwortlich als Aufsichtsperson gewesen.
Was war das nur für ein Schulausflug?

Faultiere sind toll

Ich denke, dass es einen Grund gibt, warum die meisten Freiwilligen nach mehreren Monaten aufhören ihren Blog richtig zu führen. Es ist ein Grund der weniger als bewusste Entscheidung bezüglich des Blog schreibens gefasst wird, à la "Ich bin jetzt weg, die zu Hause können sich meine Facebookbilder anschauen und neidisch werden"; sondern das ganze Austauschjahr betrifft. Es ist ein Aspekt, der sich auf die meisten Lebenslagen des Freiwilligen überträgt, der das ganze Austauschjahr auf eine Weise erträglicher macht, aber auf der anderen Seite auch etwas langweiliger. Es ist die Gewohnheit. Man beginnt, sich an sein neues Leben im Ausland zu gewöhnen. Wenn man zum 10ten Mal nun Faultiere, sich mit einer Ästhetik und Schnelligkeit durch die Bäumen hangeln sieht, dass Tarzan vor Neid erblassen würde, so bleibt man nicht mehr eine halbe Stunde stehen um zuzuschauen. Wie lange es ungefähr brauchen würde, damit diese putzigen Kerlchen gefühlte 2 Meter weit kommen.
Aber nicht, dass ihr mich falsch versteht. So sehr die Gewohnheiten auch die Überhand bekommen, gibt es immer noch unglaublich tolle Momente. So ist es immer wieder atemberaubend, einem Faultier, dass sich in Bodennähe verirrt hat, mal übers Fell zu streicheln und dann zuzusehen, wie es versucht dich mit seinen Krallen zu erwischen. Sein Versuch hat etwas von einem Betrunkenen, der versucht etwas sehr genau zu machen und dabei unglaublich langsam unglaublich ungeschickte Bewegungen ausführt. Ein anderer toller Moment ist es, wenn ich morgens ins Smithsonian komme, vor meinem Chef da bin und dann für eine halbe Stunde in die Privatbucht der Station schwimmen gehe. Mit der Sonne im wolkenlosen Himmel, dem klaren, bewegungslosen Wasser vor mir und den grünen Bergen des Festlandes im Hintergrund denke ich jeden Tag, dass ich doch im Paradis gelandet sein muss.
Ihr seht, dass die Tatsache, dass mein Jahr hier zwar gewöhnlicher geworden ist, aber nicht weniger schön oder weniger interessant. Es ruft jetzt nicht mehr: Wow-Momente hervor, die man mit der ganzen Welt teilen möchte, sondern eher Augenblicke, die einen mit einem lächeln auf den Lippen zurück lassen.
Daher nehmts bitte nicht persönlich ;)

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Panama Stadt hat 700 Einwohner. Das sind mehr als 1/5 aller Menschen in Panama! Wikipedia meint sogar, das es wirtschaftlich her eine Weltstadt ist! Hier liegen 8 der 10 grö0ßten Hochhäuser in Lateinamerika. Die Stadt wurde von den Spaniern 1519 gegründet und liegt heute am Ostende vom Panamakanal. Hier findet man auch die einzige Bahnverbindung im ganzen Land. Sie verbindet Panama Stadt mit Colón miteinander. Ich bin mal gespannt ob ich die fahren werde ;)

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Zuletzt aktualisiert: 15. Mai, 23:19

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